Seit einigen Wochen findet in Erfurt eine durchaus kontroverse Debatte um die Frage von Straßenbenennungen in Erfurt statt. Angestoßen wurde diese von der Initiative Decolonize Erfurt, welche fordert, das Nettelbeckufer in Gert-Schramm-Ufer umzubenennen. Nicht zuletzt wurde in einem Leserbrief behauptet, es sei Konsens im Stadtrat, das Thema Straßenbenennungen bewusst nicht anzutasten. Dem wollen wir als Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eindeutig widersprechen, denn Straßennamen sind durchaus politisch und stehen auch für das Bewusstsein der Stadt im Umgang mit ihrer Geschichte.
Diese Debatte ist schon lange überfällig, weil Straßennamen immer auch gesellschaftliche Machtverhältnisse widerspiegeln. Dass das Nettelbeckufer noch immer so heißt, steht sinnbildlich für die Verharmlosung und für die Unkenntnis über den deutschen Kolonialismus. Da das Wissen um unsere unrühmliche deutsche Rolle im Kolonialismus immer noch wenig ausgeprägt ist, ist es kein Wunder, dass es nun in der aktuellen Diskussion auch zu Ablehnung und sog. „Beißreflexen“ kommt. Gerade angesichts dieser Situation ist es so wichtig, die überaus tiefgehende Wirkung von Straßennamen anzuerkennen. Die Persönlichkeiten oder Ereignisse, nach denen Straßen benannt werden, erfahren Anerkennung, ihre Lebensgeschichten oder Hintergründe erhalten Aufmerksamkeit, oft vermitteln diese Personen oder Ereignisse Werte und sind Vorbilder. Und leider ist die Realität weiterhin so, dass sich kaum Frauennamen im Straßenbild wiederfinden.
Festzustellen ist, dass es in Erfurt nur knapp 25 Straßen mit Frauennamen gibt. Diesen stehen mehr als 200 Straßen mit Männernamen entgegen, ein Resultat patriarchaler Machstrukturen, welche Männer über Jahrhunderte in privilegierte Positionen gebracht und Frauen unsichtbar gemacht haben. Dabei gab es immer erfolgreiche Frauen, auch in Erfurt. In Gispersleben finden sich verdiente Schriftstellerinnen und am Ringelberg bekannte Bauhausfrauen. Doch in der Innenstadt ist die Clara-Zetkin-Straße als lange, vielbefahrende und entsprechend bekannte weibliche Straße, neben vielen Männernamen, ziemlich einsam. Deshalb gilt es, Frauen verstärkt sichtbar zu machen, mehr ihrer Lebensgeschichten zu erzählen und Vorbilder zu schaffen. Als grüne Stadtratsfraktion machen wir uns deshalb dafür stark, bei künftigen Straßenbenennungen so lange nur Frauen zu benennen, bis eine gleichmäßige Repräsentanz der Geschlechter erreicht ist. Dazu gehört weiterhin, auch LSBTIQ, also lesbische, schwule, bisexuelle, inter, trans und queere Menschen deutlicher zu berücksichtigen. Ziel muss sein, die Vielfalt unserer Gesellschaft adäquat abzubilden.
Wir stehen dafür, verantwortungsvoll mit kolonialem und patriarchalem Erbe umzugehen und die Sichtbarkeit sowohl von Minderheitsangehörigen als auch von Frauen und LSBTI zu erhöhen. Wünschenswert wäre, in der jetzigen „Mohrengasse“, einem weiteren rassistischen Überbleibsel, Platz für eine verdiente Frau zu machen.
Astrid Rothe-Beinlich, Jasper Robeck, Laura Wahl