Rede

Anwort auf die Gesetzesentwürfe der CDU zur Änderung der Verfassung

Im Plenum des Thüringer Landtages am 1. Oktober 2020 habe ich in einer Rede auf die Gesetzesentwürfe der CDU zur Änderung der Verfassung bezug genommen. Dabei ging es um die Gleichberechtigung, Quotierung, Ehrenamt, Altersdiskriminierung, Integration und eine Stärkung der Demokratie.

 

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren,

„Die Verfassung hat das Individuum im Blick.“

Ein schöner Satz, mit dem die CDU die Begründung ihrer Vorschläge zur Reform des Staatsorganisationsrechts beginnt. Doch leider hört der Absatz damit nicht auf, sondern es wird weiter ausgeführt: „Gesetze, die eine Quotierung zum Inhalt haben […] stehen im Widerspruch zur Gleichberechtigung aller Kandidaten.“

Zu Quotierungen

Es ist der Versuch der CDU, ihren Gesetzesvorschlag zum Verbot der Quotierung zu begründen. Es dürfte für jeden leicht zu erraten sein, dass wir als Grüne diesen Vorschlag konsequent ablehnen. Ich möchte aber kurz noch mal darlegen, warum und worin die Analyse der CDU in dieser Frage hinkt.

Prinzipiell gehen Menschen davon aus, dass Leistung, Kompetenz oder z.B. der Bildungsgrad darüber entscheiden würden, wer es in besonders einflussreiche Positionen schafft. Auch der oben zitierte Begründungstext beruht implizit auf der Annahme, dass aktuell alle Menschen dieselben Chancen hätten. Aber in den wichtigsten Machpositionen unserer Gesellschaft sind immer noch vor allem Männer anzufinden. In den Vorständen der wichtigsten Dax-Unternehmen beispielsweise sitzen 640 Männer und sage und schreibe – 61 – Frauen! Wenn man nun also davon ausgeht, dass allein Kompetenz und Leistung eine Rolle spielen würde, dann hieße das im Umkehrschluss: wir hätten in Deutschland nur 61 fähige Frauen, die so etwas hinbekämen. 61?! Es kann mir keiner erzählen, dass es nicht mehr gut ausgebildete, intelligente und gewillte Frauen gäbe, die bereit sind Verantwortung zu übernehmen.

Und deshalb ist es eigentlich höchste Zeit, unsichtbare Quoten abzuschaffen, um Gleichberechtigung erst herzustellen, liebe CDU.

Schaffen wir die 91%  Quote für Männer in den Dax-Vorständen ab.

Schaffen wir die unsichtbare 90% Quote für Männer unter den Landräten ab.

Oder die 69% Quote unter Thüringer Abgeordneten.

Und genau aus diesem Grund ist eine 50%-Quote keine Abkehr vom Leistungsprinzip, sie ermöglicht es erst. Weil dann unabhängig vom gesellschaftlichen Habitus, von unsichtbaren Codes, von tradierten Machtstrukturen der Beste unter den Männern und die Beste unter den Frauen ausgewählt wird.

Wir lehnen diesen Vorschlag also klar ab.

Wertschätzung für Ehrenamt

Ich bin froh, dass es neben diesem zum Glück auch den ein oder anderen guten Vorschlag gab, der aus der Feder der CDU kam.

So begrüßen wir die Anerkennung des Wertes von Ehrenamts durch eine Nennung in der Verfassung. Eigentlich alle Anzuhörende haben sich in der Anhörung im Verfassungsausschuss dafür ausgesprochen, um dem so wichtigen ehrenamtlichen Engagement in unserer Gesellschaft mehr Wertschätzung zukommen zu lassen. Diskutieren müssen wir im Ausschuss noch mal die Begriffe des Gemeinwohls und der Gemeinschaft. Gemeinwohl, wie es die CDU anregt, ist juristisch, vor allem rechtstheoretisch, umstritten. Hier schließe ich mich der Betrachtung von Dr. Kullmann im VerfA an: „Der Begriff „Gemeinwohl“ ist ein rechtsphilosophischer Begriff, der sicherlich auch angemessen und nicht unangebracht ist.“ Doch ist der Begriff „Gemeinschaft“ aus unserer Sicht besser, weil eingängiger und klarer ist, dass Ehrenamt nicht in einer abstrakten Weise in die Gesellschaft eingebracht werde, sondern dass man sich bewusst ist, dass man es für andere, für die Gemeinschaft tut.

In der Anhörung hat sich auch gezeigt, dass die Aufnahme des Staatsziels Ehrenamt in die Thüringer Verfassung nur ein erster Schritt sein kann. Als Grüne halten wir die konkrete Untersetzung des Staatsziels Ehrenamt durch ein Ehrenamtsgesetz oder eine Ehrenamtsstrategie für unabdingbar.

Nicht nachvollziehen kann ich allerdings den Vorschlag, einen Nachhaltigkeitspassus direkt dahinter in der Verfassung als neuen Art. 41 b einzufügen. In der mündlichen Anhörung wurden zwei Varianten von den Anzuhörenden vorgeschlagen: die eine war, den Artikel allgemein weiter vorne in der Verfassung zu verankern. Weil damit klargestellt würde: dass Nachhaltigkeit ein Grundprinzip staatlichen Handelns sein muss, dass sich in jeglichem staatlichen Handeln niederschlagen muss. Die zweite Variante ist, es beim Umweltteil anzusiedeln. Mehrere Anzuhörende haben klargestellt, dass ein starker Nachhaltigkeitsbegriff auf den planetaren Grenzen aufbauen muss und damit sind unsere natürlichen Lebensgrundlagen gemeint.

Verbot der Altersdiskriminierung

Aufgeschlossen sind wir auch gegenüber einem Verbot der Altersdiskriminierung. Allerdings muss man sagen, dass dies auch schon bei geltendem Recht in Kraft ist. Schon die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ein Verbot der Altersdiskriminierung, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geht auch in diese Richtung. Dennoch gibt es in der Praxis immer wieder Beispiele, wo aufgrund von Alter Menschen Steine in den Weg gelegt werden. Ich denke z.B. an Menschen die mit über 50 ihren Job verlieren. Oft ist es für diese schwierig, und manchmal leider unmöglich, einen neuen Job zu finden. Hier sind wir als Politik gefragt, mehr Chancengerechtigkeit herzustellen. Wir sehen daher, dass die die Leit- und Symbolfunktion einer Verfassung hier  durchaus sinnvoll ist, zu stärken.

Ziel der Herstellung gleicher Lebensverhältnisse

Uns Grünen geht’s immer auch darum, dass man nicht nur warme Worte in der Verfassung schreibt, sondern auch Taten folgen. Staatsziele müssen konkretisiert werden durch detaillierte Gesetze, folgerichtige Umsetzung in der Verwaltung, anständige Finanzierung.

Aus diesem Grund sind wir von der gewählten Formulierung für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse noch nicht überzeugt. Damit es nicht bei warmen Worten bleibt, wäre es hier vielleicht besser eine Formulierung, die sich tiefer mit der Thematik der regionalen Strukturförderung beschäftigt und nicht bei dem identischen Wortlaut des GG bleibt. Das Land soll eine Strukturförderung der Regionen mit dem Ziel gewährleisten, in allen Landesteilen gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen und zu erhalten. Diese findet mit Landesmitteln statt, sie ist aber Teil der nationalen und unionseuropäischen Strukturförderungspolitik. Wir müssen den Bezug auf gleichwertige Lebensverhältnisse so verstehen, dass Thüringen nicht allein handelt, sondern zusammen mit dem Bund und der EU.

Integration ist keine Einbahnstraße

Sehr kritisch sehen wir die Vorstellung, die die CDU scheinbar von Integration hat. Zwar heißt es im ersten Absatz des neuen 41d noch: das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft in Thüringen soll gefördert werden. Ein begrüßenswerter Passus, der für sich alleine vollkommen ok wäre. Aber die folgenden Absätze machen leider klar, dass es der CDU eben gerade nicht um ein Zusammenleben verschiedener Kulturen auf Augenhöhe geht, sondern sie macht damit die leidige Leitkulturdebatte wieder auf. Migrant*innen müsse die deutsche Kultur vermittelt werden und die Normen deutschen Zusammenlebens teilen. Das dürfte sich juristisch übrigens als schwierig interpretierbar darstellen: Wo sind denn die Normen deutschen Zusammenlebens definiert? Sind Sie wirklich der Meinung, alle Menschen in Deutschland würden denselben Normen folgen? Verändern sich Normen in einer Gesellschaft nicht sowieso andauernd und sind absolut nichts Beständiges? Sie sehen also, dass dieser Begriff in einer Verfassung Schwierigkeiten bereitet.

Darüber hinaus sagen wir auch ganz klar: Integration ist keine Einbahnstraße! Eine gelungene Integration ist sowohl auf der Willigkeit des einzelnen Menschen als auch auf der Aufgeschlossenheit der integrierenden Gemeinschaft angewiesen. Also: Integration ja, Assimilation nein. Die Formulierung der CDU enthält viele richtige Wörter und wir freuen uns auf die Debatte darüber. Es muss aber klar sein, dass die Thüringer Verfassung nicht die Hintertür sei kann, über die überholte Konzepte wie „deutsche Leitkultur“ oder Assimilation von „Fremden“ wieder Eingang finden.

 Stärkung der Demokratie

Grundsätzlich setzt eine kennzeichnend grüne Demokratie- und Verfassungspolitik auf hohe Beteiligung aller in Politik und Staatsgeschäfte einen besonderen Wert. Wir stehen unwiderruflich zum Parlamentarismus und zur Stärkung der direktdemokratischen und partizipatorischen Instrumente gleichzeitig.

Eine lebendige und funktionierende Demokratie ist der beste Schutz für eine breite Akzeptanz demokratischer Werte. Durch eine positive, gestaltende Beteiligung der Menschen an demokratischen Mechanismen kann es uns gelingen, dass das politische System wieder an Akzeptanz gewinnt bei denjenigen, die heute eher misstrauisch zu ihm schauen.

Daher direkt zum durch die CDU vorgeschlagenen Volkseinwand. Wir sagen ja zu allen Mechanismen und Instrumenten, die positiv Vorschläge und Ideen der Menschen in die institutionalisierte Politik bringen. Eine höhere Beteiligung der Menschen ist unser Ziel und der Ausbau direktdemokratischer Mittel, die es Menschen ermöglicht, sich effektiv in demokratische Prozesse einzubringen. Dazu gehören z.B. die Absenkung von Quoren oder der Abbau des Finanzvorbehalts, wie wir es als r2g bereits als Vorschlag eingebracht haben.

Über die Wahl des Ministerpräsidenten können wir die Gründe für den Wunsch einer Präzisierung der Normen nachvollziehen. Die Wahlgänge zu Beginn dieses Jahres haben auch uns dazu veranlasst, darüber nachzudenken, ob es hier nicht eine Präzisierung in der Verfassung braucht. Die derzeit angespannten Kräfteverhältnisse in diesem Landtag könnte aber eine Neuregelung durch parteipolitische Interessen überschatten lassen. Darüber hinaus sehen wir es kritisch, dass bei schwierigen Mehrheitsverhältnissen durch das von der CDU vorgeschlagene Gebot von mehr Ja als Nein-Stimmen eine Ministerpräsidentenwahl auf lange Sicht verhindert werden kann. Es ist aber verfassungsrechtlich sehr bedenklich wenn eine geschäftsführende Regierung durch eine solche Regelung möglicherweise auf lange Sicht im Amt „gefangen bleibt“.

Zur Bekämpfung der Feinde der Demokratie ist für uns selbstverständlich, dass Staat und Gesellschaft ihren Gegnern entgegenzutreten haben. Allerdings finde ich es sehr bedenklich, dass die CDU mit dieser Formulierung die Hufeisentheorie anklingen lässt. Wann erkennen Sie endlich an, dass die größte Gefahr für unsere Demokratie in rechtsextremen Bestrebungen besteht! Wie schon Karl Popper erkannt hat, darf es keine Toleranz gegenüber den Intoleranten geben. Allerdings ist dies keine Frage, die sich über einen Verfassungstext lösen lässt, sondern gefordert sind wir hier als Demokrat*innen – aufzustehen gegen Rassismus, zu widersprechen bei menschenfeindlichen Äußerungen und niemals leise zu sein bei Unrecht und Ungerechtigkeit.

Und last but not least, sind wir überrascht, dass die CDU auch das ganze große Thema Finanzverfassungsrecht in den Verfassungsausschuss einbringt. Und das zu einer Zeit, wo wir gerade intensiv darüber diskutieren, wie wir mit sinnvollen investiven Maßnahmen einen langfristigen Wirtschaftseinbruch und hohe Arbeitslosenzahlen verhindern können. Deshalb ist für uns klar, dass in der Thüringer Verfassung der falsche Platz ist für überholte Theorien der schwarzen Null. Wir sagen also ja zu einem starken Parlament auch in Finanzsachen, nein zu drakonischer Sparpolitik mit Verfassungsrang.

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