02.06.2021
Vor 150 Jahren wurde der Paragraf 218 eingeführt, der Schwangerschaftsabbrüche bestraft. Das sind 150 Jahre des Leids – insbesondere für Frauen. Aber eben auch 150 Jahre des Widerstands. Erst vor wenigen Wochen wurde am 15. Mai wieder mit Aktionen bundesweit darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Gesetz zutiefst in das Selbstbestimmungsrecht von Frauen eingreift. Und gerade eben fand auch die von Profamilia initiierte Demo mit der „WEG-MIT-218“-Menschenkette hier direkt vorm Landtag statt. Diese vielen feministischen Organisationen und Einzelpersonen machen deutlich: Wir brauchen endlich eine Fristenregelung für Schwangerschaftsabbrüche jenseits des Strafrechts!
Der Zugriff des Staates auf die Körper von insbesondere Frauen muss endlich beendet werden. Es gibt kein Gesetz in Deutschland, das auf vergleichbare Weise in den Körper von Männern eingreift. Man möge mir das Gesetz zeigen, das einem etwas Vergleichbares zu 9 Monaten Schwangerschaft, rund 20 Jahre Kinderaufziehen, die Gefahr in Armut abzurutschen und vieles weiteres aufbürdet. Es gibt keines.
Stattdessen haben wir eine historische Kontinuität von staatlichen und kirchlichen Versuchen, die Selbstbestimmung der Frau zu unterbinden, selbst darüber zu entscheiden, ob sie das Kind austragen will oder nicht. Wenn übrigens der Vater das Kind nicht wollte, finden sich historisch viele Beispiele wie das straflos oder zumindest konsequenzenlos in Recht und Gesetz integriert werden konnte. Das alte Testament sah Schadenersatz vor, wenn eine Frau von einem anderen Manne so verprügelt wurde, dass sie das Kind verlor. Den Schadenersatz bekam allerdings der Mann, weil ihm ja das Kind gestohlen worden wäre. Und im römischen Recht wurde Abtreibung deshalb bestraft, weil die Frau den Mann damit „um seine Kinder betrüge“. Es ging historisch gesehen also nie um den Schutz des ungeborenen Lebens, sondern immer um Macht. Die Macht darüber wer das Recht hat, über Fortpflanzung zu entscheiden und wer es nicht hat, obwohl es nur diese Personengruppe betrifft. In dieser Kontinuität befinden wir uns angesichts männlich dominierter Parlamente übrigens noch heute.
Eine bessere Arte der Lösung, nämlich eine Fristenregelung gab es bereits in der DDR. War es auch in der DDR lange Jahrzehnte ein Tabu, so wurde im März 1972 mit dem „Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft“ eine Fristenregelung eingeführt. Die Wiedervereinigung Deutschlands vor mehr als 30 Jahren machte eine Neuregelung der Abtreibungsgesetze notwendig. Ostdeutsche Feminist*innen gingen damals auf die Barrikaden, weil sie wussten, dass die gesamtdeutsche Gesetzgebung für sie einen Rückschritt bedeuten würde. Und genauso kam es: Am Ende brachte der Bundestag 1992 ein „Kompromissgesetz“ auf den Weg, welches den Strafrechtsparagraphen zwar entschärfte, der § 218 aber blieb im Strafgesetzbuch!
Damit war klar: Abtreibung bleibt in Deutschland grundsätzlich verboten. Sie wird nur nicht bestraft, weil ein verklausulierter 218a eingeführt wurde, der Straffreiheit festhält, wenn der Eingriff innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate von einem Arzt vorgenommen wird und sich die Frau mindestens drei Tage vor dem Abbruch einer Zwangsberatung unterzieht.
In Thüringen gibt es Beratungsstellen an 32 Standorten – damit sind wir vergleichsweise gut versorgt, aber ein anderer wichtiger Aspekt ist die ausreichende Zahl von Ärzt*innen bzw. Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Und da steuern wir auf ein Problem zu: Einerseits lässt die Entwicklung vor allem im ländlichen Thüringen ein generelles Versorgungsproblem in der ärztlichen Versorgung befürchten.
Hier müssen wir auf die derzeit sehr aktuelle Debatte um den §219a des Strafgesetzbuches kommen. Dieses sogenannte „Werbeverbot“ kommt übrigens aus einer ganz finsteren Zeit – der §219 wurde durch Hitlers Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 eingeführt wurde – allein deshalb gehört er auf den Müllhaufen der Geschichte.
Und dann gab es vor zwei Jahren den Versuch der Groko den 219a zu reformieren, der nichts verändert hat. Weiterhin ist es so, dass zwar jede Person, den allergrößten Blödsinn über Schwangerschaftsabbrüche ins Netz stellen darf, aber Ärzt*innen – die in diesem Bereich die meiste Kompetenz haben dürften – dürfen auf ihrer Webseite nach wie vor nicht einmal darüber informieren, wie sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Aus diesem Grund hat das OLG Frankfurt trotz oder wegen der Reform im Januar das Urteil gegen Kristina Hänel auch für rechtskräftig erklärt.
Wir von Bündnis 90/ DIE GRÜNEN sagen ganz klar: Menschen haben das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und sie sollen über ihre Schwangerschaften frei und ohne Kriminalisierung entscheiden können. Dabei haben sie ein Recht auf Information und freiwillige Beratung. Politik und Rechtsprechung müssen dieses hohe Gut schützen, hier darf es keine Rolle rückwärts geben!
Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen hat zu keiner Zeit zu weniger Abbrüchen geführt. Sie macht sie nur gefährlicher. Nicht die strafrechtliche Verfolgung von Schwangerschaftsabbrüchen, sondern freiwillige, qualifizierte und ergebnisoffene Beratung ist geeignet, die Frauen bei ihrer Entscheidung zu unterstützen und ihnen in schwierigen Situationen zur Seite zu stehen.
Und deshalb gilt für die Gesetzgebung weiterhin: Raus aus meinem Uterus!