Rede

Auswirkungen von Finanzproblemen bei einem privaten Anbieter im Schienenpersonennahverkehr in Thüringen – Herausforderungen und Perspektiven

02.07.2021

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Die Abellio-Züge sind bequem, die Angestellten freundlich. Das höre ich allenthalben, wenn das Gespräch auf das Tochterunternehmen der Niederländischen Staatsbahnen kommt, das auch hier in Thüringen wichtige Strecken bedient

Die Freundlichkeit der Mitarbeiter*innen ist umso bewundernswerter, da die Personalpolitik von Abellio von Anfang an in der Kritik stand. Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass diese Kritik offensichtlich berechtigt war und ist.

Das Unternehmen setzte darauf, die gesamte notwendige Mitarbeiter*innenschaft vom unterlegenen Wettbewerber Deutsche Bahn AG zu übernehmen und sich damit die Ausbildungskosten zu sparen. Doch das geschah nicht. Viele Angestellte gingen lieber in andere Bundesländer als das Unternehmen zu wechseln. Denn die schlechtere soziale Absicherung – man kann es auch als Lohndumping bezeichnen – hätte einen Arbeitgeberwechsel für viele zu einem zu großen Risiko gemacht. Abellio musste daher ausbilden und natürlich fallen auch Tarifsteigerungen nicht einfach so vom Himmel, sondern wären mit vorausschauender Unternehmenspolitik einkalkulierbar.

Statt der Nutzung der DB-Technik in Erfurt stampfte das Unternehmen zudem ein neues Bahnbetriebswerk in Sangerhausen aus dem Boden. Auch das war und ist sicher eine finanzielle Belastung.

Daher mutet es schon fast unverfroren an, jetzt mit der Begründung von „unvorhersehbaren Kostensteigerungen“ mit Insolvenz zu drohen.

Wohlgemerkt nicht wegen der Corona-Folgen – die werden ja ausgeglichen, sondern wegen der „unerwartet hohen Personalkosten“ will der Finanzminister der Niederlande nun seine Staatskonzern-Tochter mit deutschen Staatsgeldern aus der Patsche helfen.

Zuerst trat also ein Staatskonzern in einem offenen Wettbewerb gegen einen anderen Staatskonzern – die Deutsche Bahn AG – an und unterbot mit einem „sehr günstigen“ Angeboten den „Platzhirsch“. Und nun will man im Nachhinein den Preis erhöhen.

Verständlicherweise lehnt zum Beispiel Verkehrsminister Winne Herrmann aus Baden-Württemberg deshalb das Ultimatum aus Den Haag ab.  Über unerwartet gestiegene Kosten könne man sich unterhalten, aber nicht in dieser Form.

Leider ist das Drohpotenzial von Abellio durchaus hoch. Kommt es zu einer Insolvenz wird dies unweigerlich zu höheren Kosten für die Notfall-Bestellung führen, ob nun vorläufig weiter über Abellio oder mittelfristig bei anderen Bahnunternehmen.

Gespräche sind deshalb weiter angebracht. Unser Ziel muss es sein, in dieser für den ÖPNV sowieso schon schwierigen Situation die Qualität des Schienenverkehrs in Thüringen auf dem guten Niveau zu halten und weiter zu verbessern.

Ganz ohne zusätzliche Kosten wird das wohl nicht möglich sein. Ich wünsche der Landesregierung jedenfalls ein gutes Händchen, um die Interessen der Menschen in Thüringen hier möglichst gut zu vertreten.

 

Meine Damen und Herren,

Die aktuelle Krise wirft darüber hinaus die Frage erneut auf, ob das Bieterverfahren bei der Vergabe von Verkehrsaufträgen in seiner jetzigen Form noch zeitgemäß ist und wie es weiterentwickelt werden sollte.

Ich denke es ist höchste Zeit, die Ausschreibungen im Bahnverkehr so zu gestalten, dass Wettbewerber nicht über Personalpolitik die Preise drücken können. Auch ein Fahrzeug-Pool kann sinnvoll sein, dann wäre im konkreten Fall wahrscheinlich kein unnötiges neues Werk gebaut worden.

Eine Untersuchung gab es dazu durch das Land Thüringen ja schon. Darin wurde auch die Möglichkeit ins Spiel gebracht unser eigenes Thüringer Bahnunternehmen in den Wettbewerb zu schicken. Mit der Erfurter Bahn haben wir ja schon ein in der Landeshauptstadt verwurzeltes Unternehmen.

All diese Optionen sollten wir hier im Freistaat intensiver diskutieren und weiterentwickeln. Es ist an der Zeit, hier die nächsten konkreten Schritte zu gehen.

Zum Wohl sowohl der Bahnfahrenden als auch der Angestellten.

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