02.07.2021
“Eine Förderung der deutschen Sprache als Mittel zur allgemeinen Verständigung aller entspricht sehr wohl dem Sinne einer „Landessprache“ und dem einer freiheitlichen-demokratischen Ordnung, eine aggressive Sprachpolitik im Sinne eines staatsgelenkten und in der Realität inexistenten „reinen“ Deutschen dagegen nicht.”
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!
Lassen sich mich kurz auf die Etymologie eingehen, der Wissenschaft von der Herkunft und Geschichte der Wörter. Das Wort „Deutsch“ bezeichnete ursprünglich derjenigen, „die unsere Sprache, die Sprache des Volkes reden“. Allein diese Feststellung könnte die heutige Debatte beenden: Deutsch ist die Sprache aller, die sie reden, die Sprache, mittels derer man sich miteinander versteht und verständigt, eine Sprache, die Gemeinschaft schafft. Wenn hier also einige am rechten Rand die deutsche Sprache als Trennungselement, als Abgrenzungsmerkmal, als immaterielle Wand zwischen einem inexistenten „Wir“ und „Ihr“ nutzen wollen, dann haben diese Personen nicht mal verstanden, was das Wort „Deutsch“ bedeutet.
Die Sprache gehört zu den wesentlichen Elementen, die eine Person in ihrer Identität und somit in ihrer Stellung in der Gesellschaft prägen. Auf einer oder mehreren Sprachen werden wir erzogen, mittels derer oder deren lernen wir reden, denken, kämpfen, lieben.
Auch deswegen ist die Haltung zu Sprache und Sprachen eine ganz grundsätzliche Haltung, eine, die den Staat oder, besser gesagt, das Staatsmodell definiert. Ein Staat, der die Sprache der Menschen so nutzt, um diese unterschiedlich voneinander zu behandeln; ein Staat, der Eltern davon abhält, den eigenen Kindern die eigene Sprache beizubringen, ist kein liberaler Staat.
Ein Staat dagegen, der sprachliche Vielfalt akzeptiert und die eine Sprache, ja die Landessprache, als verbindendes Element aller Menschen fördert, ist derjenige freiheitlich-demokratische Staat, wovon unsere Thüringer Verfassung redet. Um diese Erkenntnis zu gewinnen, brauchen wir unsere Thüringer Verfassung nicht zu ändern, sondern müssen sie lesen!
Meine Damen und Herren,
genau dieser Punkt – der Haltung zur Sprachenfrage als Haltung zu einer freiheitlich-demokratischen Staatsordnung – ist im Umgang mit dem hiesigen Gesetzentwurf zentral.
Selbstverständlich ist Deutsch Landessprache Thüringens. Daran besteht kein Zweifel und wird zumal dadurch bestätigt, dass die Thüringer Verfassung auf Deutsch geschrieben wurde. Das ist aber nicht der Punkt!
Denn hier wird die Forderung nach einer harmlosen Feststellung der Landessprache Thüringens in einen aggressiven Ansatz umgewandelt, der eine im realen Leben inexistente „Reinsprache“ kristallisieren soll. Die Abweichungen von diesem „reinen“ Deutsch seien zu dessen Schutz zu bekämpfen – und in der Logik des Gesetzentwurfes sind sie als verfassungswidrig einzustufen. Gewollt ist hier also ein illiberaler Staat, der aggressive und ausgrenzende Sprachpolitik betreibt und die Sprache als Macht- und Herrschaftsinstrument missbraucht.
Der Schutz einer Sprache ist ein vielfach belegtes Recht aller Menschen. Hierfür empfehle ich die Lektüre von Art. 22 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die der Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, die Deutschland ratifiziert hat. Der Schutz einer Sprache besteht aber im Wesentlichen darin, dass diese in der Lage ist, die Gegenwart mit ihren Worten zu fassen. Anders ausgedrückt: Sprachenschutz und Sprachenförderung zielen nicht auf Kristallisierung der „Reinheit“ ab, sondern auf die Zukunftsfähigkeit einer Sprache. Und diese setzt kontinuierliche Entwicklung voraus.
Davon wissen am besten diejenigen Völker und Gruppen, deren Sprachen vom Aussterben bedroht sind – und das ist leider auch in Europa kein so seltener Fall: Sprachen sind nicht dann bedroht, wenn sie nicht „rein“ gehalten werden, sondern wenn sie sich nicht entwickeln und deswegen irgendwann für die Beschreibung der Gegenwart nicht mehr taugen.
Die deutsche Sprache zu schützen und fördern heißt also, nicht ihre Kristallisierung, sondern ihre ständige Fortentwicklung zu fördern. Die autoritative Kristallisierung eines lebensfernen „Standard-Deutschen“ entspräche dagegen keinem Schutz der deutschen Sprache, sondern dem Urteil zu ihrem langsamen Aussterben.
Meine Damen und Herren,
die AfD-Fraktion schlägt uns mit ihrem Gesetzesvorschlag folgendes Staatsmodell vor: „Wir“, einige reine Deutschsprechende, müssen uns und unsere Sprache verteidigen gegen „sie“, die Andersredenden, Anderswählenden, Andersaussehenden, und dafür machen „wir“ von der Stärke der Staatsgewalt Gebrauch. Mit diesem Gesetzesentwurf kommt zum widerholten Mal der Ethnonationalismus ans Licht, den die AfD vertritt.
Dass Deutsch die Sprache ist, die in Thüringen allgemein geredet und verstanden wird, ist unzweifelhaft. Dass die AfD aber einen schutzwürdigen Status für das Deutsche nicht mit der Begründung begleitet, die Sprache sei ein Mittel zur gegenseitigen Verständigung aller, sondern aus der Überlegung, die Sprache sei ein Gut einiger, das von fremden Eingriffen zu verteidigen sei, ist in eindeutiger Weise abzulehnen. Eine Förderung der deutschen Sprache als Mittel zur allgemeinen Verständigung aller entspricht sehr wohl dem Sinne einer „Landessprache“ und dem einer freiheitlichen-demokratischen Ordnung, eine aggressive Sprachpolitik im Sinne eines staatsgelenkten und in der Realität inexistenten „reinen“ Deutschen dagegen nicht. Auf Basis solcher illiberalen Vorstellungen können wir uns keine Debatte im Fachausschuss vorstellen, weswegen wir diesen Gesetzesentwurf ablehnen.